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Ambiguitätstoleranz

In den letzten Tagen wurde ein Video geteilt, das eine Rede von Ulf Poschardt am ersten Tag der Wiener Kongresse  zeigt. Kongress I trägt den Titel Kulturkriege und wird auf dem Kanal der Wiener Festwochen wie folgt beschrieben:

„Wer gehört gecancelt? Canceln wir zu viel? Sind wir uns zu einig? Der erste Wiener Kongress widmet sich den Beziehungen zwischen Kunst und Politik: Wie autonom oder gar subversiv kann und muss Kunst sein? Wer und was soll und darf eine Bühne bekommen? Müssen problematische oder umstrittene Positionen gecancelt werden – oder sollten nicht gerade sie höchst willkommen sein? Wo verlaufen die viel zitierten roten Linien?“ Im vergangenen Jahr hat Robert Willacker dies in einem fulminanten Vortrag auf den Punkt gebracht. So viel muss man der Veranstaltung zugestehen. Sie lässt dies zu. Hier nun Ulf Poschardt:

Das gesamte Video kann hier auf dem Kanal der Wiener Festwochen nachgesehen werden. Ich habe es nicht getan. Ich muss gestehen, dass ich der Doppelmoral dieser Blase, der ich einst angehörte, überdrüssig bin. Es ist absehbar und vorprogrammiert, was man zu hören bekommt und es hat sicherlich innerhalb der engen Mauern des Elfenbeinturms auch irgendeine Relevanz. Mir wurde irgendwann schwindlig von dieser Blase, die nur um sich selbst kreist und die massiven und existentiellen Probleme, die andere durch ihr Verhalten zu spüren bekommen, im besten Fall weglächelt, im schlimmsten Fall noch verstärkt, indem sie jede noch so berechtige und nüchterne Kritik als rechts oder gar rechtsextrem markiert und damit den Kritiker als Feind, dessen Veranstaltungen man verhindern, dessen berufliche Existenz man vernichten darf – bisweilen auch die körperliche mittels eines Hammers auf den Hinterkopf. Nicht einmal das hält die verrohtesten Teile dieser Blase dann noch davon ab, sich mit diesen schwerstkriminellen Tätern solidarisch zu zeigen. Wird ja schon den richtigen erwischt haben.

Das Publikum kann es jedoch nur schwer ertragen, was man nicht nur an den leidenden Gesichtsausdrücken erkennt, sondern auch an den empörten Zwischenrufen bis hin zu handfesten Beleidigungen und dem Verlassen des Saals.

Man muss Poschardt nicht in allem zustimmen. Man kann der Meinung sein, dass seine provokante Überheblichkeit nicht geeignet ist, die Gesellschaft wieder zusammenzubringen. Man kann erkennen, dass er mit zweierlei Maß misst, wenn er fordert, dass dieser linke Kulturbetrieb nicht mehr mit Steuergeldern gefördert werden soll, gleichzeitig aber fest auf der Seite einer rechtsradikalen israelischen Regierung und ihres Regierungschefs steht, die gerade in den Augen vieler einen Genozid begehen und dabei von Deutschland unterstützt werden. Das mag mancher als mutig werten, denn mittlerweile traut sich schon kaum einer der ehemaligen bedingungslosen Unterstützer der israelischen Regierung mehr diesen Schulterschluss angesichts der nicht mehr zu leugnenden Bilder. 

Es soll jedoch nicht um den Inhalt von Poschardts Vortrag gehen, sondern um die Reaktion darauf. Und die erscheint symptomatisch für die gesamte Republik. Es mag sein, dass es in Dörfern tief im Osten so ist, dass man Angst haben muss, von Rechten gecancelt oder gar angegriffen zu werden und vielleicht führt der aktuell zu beobachtende Rechtsruck nebst Verhärtung der Fronten auch dazu, dass man bald Ähnliches flächendeckend beobachten können wird. In den letzten Jahren waren jedoch Cancel Culture, Denuntiantentum, antidemokratische Umtriebe und sogar Gewalt Merkmale der Anhänger von „unsereDemokratie“ – aller hysterischer und falscher Beschuldigungen nach rechts zum Trotz.

Weil die Abwehrreflexe und die Brandmauer im Kopf mittlerweile so groß sind, diese Realität anzuerkennen, die viele Regierungskritiker tagtäglich zu spüren bekommen, soll dies mit zwei Vorfällen und deren Reaktion darauf verdeutlicht werden.

Dr. Hans-Rudolf Milstrey ist ehemaliger Chefarzt. Bereits Anfang 2020 äußerte er sich kritisch im WDR-Fernsehen zu den unverhältnismäßigen Eingriffen in bürgerliche Freiheiten und Grundrechte. Am 2. März 2024 ergriff er auf einer “Demo gegen Rechts” das Wort, um die Freiheitlich demokratische Grundordnung in ihrer umfassenden Bedeutung ins Bewusstsein der Teilnehmer zu rufen. Als er die Grundrechtsverletzungen während der sog. “Pandemie” erwähnte, wurde er von dem wütenden Mob von der Bühne geschrien. So beschreiben es Siggi Ober-Grefenkämper und Uwe Alschner in ihrem Gespräch mit ihm, das man hier nachhören kann.

Nachfolgend die gesamte eigentlich versöhnliche Rede, die Dr. Milstrey nicht halten durfte, weil er niedergebrüllt und von der Bühne gemobbt wurde, nachdem der Meute klar wurde, dass es um die Grundrechte aller und damit auch Ungeimpfter gehe. Das war der Brandmauer zu extrem. Das Transkript habe ich im wesentlichen der Videobeschreibung entnommen.

„Liebe Süchtelner, danke für die Möglichkeit, hier das Wort zu ergreifen!

Ich bin am Ende des letzten grauenhaften großen Krieges geboren und davon bis heute geprägt. Deswegen habe ich die ersten 71 Jahre wunderbarer Demokratie in Deutschland besonders genießen können. Ihre Sorgen um den Erhalt unserer Demokratie teile ich seit vier Jahren. Allerdings aus anderen Beweggründen, als sie heute hier in Reden und auf Plakaten vorgetragen werden.

Das Grundgesetz wurde 1949 geschaffen, um nach dem Horror der Naziherrschaft die Rechte jedes Einzelnen gegenüber einem übergriffigen Staat zu schützen. Unsere Grundrechte sind nicht in Frage zu stellen und unveräußerlich. Dennoch (Applaus!)…

Dennoch wurden sie seit 2020 im Rahmen der Pandemie beschnitten und ausgehebelt“

(Unruhe auf der Bühne, Buhrufe aus dem Publikum: „Geh nach Hause!“ „Auf Wiedersehen!“ Toxisch weibliche Stimme: „Geh nach Hause! Querdenker raus! Raus du Querdenker!“ Unmittelbar darauf wird ihm das Mikrophon abgenommen) So wäre es weiter gegangen:

„Dennoch wurden sie seit 2020 im Rahmen der Pandemie beschnitten und ausgehebelt, ohne dafür sachliche, mit Evidenz belegbare Gründe zu haben. Es gab im Bundestag nur wenige Politiker, die sich gegen diese Politik der beiden letzten Regierungen gestellt haben.

Obwohl unser Grundgesetz die Ausgrenzung von Minderheiten verbietet, wurden die Ungeimpften als Minderheit maximal ausgegrenzt. Das ist für mich eine schlimme Erfahrung, die unsere Gesellschaft noch lange beschäftigen wird.

Heute geht es Ihnen hier um die Ausgrenzung oder gar Verbot einer im Parlament vertretenen Oppositionspartei, die für die desaströse Regierungspolitik der letzten Jahre keinerlei Verantwortung trägt. Das ist besonders bemerkenswert deswegen, dass es der Regierung im Moment der größten Kritik an ihrer Politik während der Bauernproteste gelungen ist, von sich abzulenken und auf der Basis des Correctiv-Narrativs erfolgreich Massenproteste gegen die oppositionelle Minderheit anzuführen.

Wie Sie inzwischen sicher alle wissen, ist der Correctiv-Bericht als Basis der flächendeckenden Empörung über massenhafte Deportationen deutscher Staatsbürger nach ethnischen und kulturellen Kriterien in sich zusammengesunken. Dazu brauchen sie nur die Webseite von Correctiv zu öffnen. Wie gerichtlich gerade festgestellt wurde, handelt es sich bei Correctiv nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern nur um Meinungen und Wertungen, die durch die grundgesetzlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind und nicht des Nachweises bedürfen.

Einfacher gesagt: es handelt sich um Hörensagen.

Ich möchte Sie deswegen auffordern, sich ein eigenes Bild vom momentanen Geschehen zu machen und sich nicht ungeprüft einer Bewegung gegen einen von der Regierung und den Mainstreammedien definierten gemeinsamen Feind anzuschließen, wie es vor zwei Jahren bereits gegen die Ungeimpften geschah. Damit handeln Sie demokratiebewahrend im Sinne des Grundgesetzes, nicht mit den heutigen Parolen.

Um mit einem Wort von Rosa Luxemburg zu schließen, das sie 1918 formulierte, als sie wegen ihrer politischen Überzeugung im Gefängnis saß:

„Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.“

Und um es mit einem berühmten Wort von Voltaire zu ergänzen:

„Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür aufgeben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen!“

Ich möchte keine Demokratie nach augenblicklichem amerikanischen Vorbild mit zwei verfeindeten Lagern, sondern ich möchte eine Aufarbeitung der vergangenen vier Jahre mit nachfolgender gesellschaftlicher Versöhnung. Deswegen finde ich Ihr Motto „gegen Hass und Ausgrenzung“ sehr berechtigt, jeder einzelne sollte allerdings darauf achten, dass es nicht gegen ihn selbst verwendet werden kann.

Wir dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen!

Wir müssen die gesellschaftliche Spaltung überwinden!“

Max, der als Schüler einer 10. Klasse beschrieben wird, bekam auf einer sog. Querdenker-Demonstration ein Mirko, das er dazu nutzte, Menschen zu beschimpften, die sich für Frieden und Grundrechte einsetzen. Er schreibt dazu: „Seit 5 Jahren laufen Querdenker ungestört durch meinen Wohnort. Keine Gegenrede. Heute habe ich mir ein Herz gefasst, bin zum “offenen Mikrofon” gegangen – und habe gesprochen. Nicht geschrien, nicht beleidigt. Aber klar, deutlich, mit Haltung. Denn Schweigen ändert nichts.“ Er ist jung. Er wird irgendwann vielleicht noch begreifen, wie die Verhältnisse wirklich waren. Es soll nicht um ihn als Brandmaurer gehen, sondern um die Reaktion im Kontrast zu den Brandmaurern.


Das nachfolgende Transkript ist im Wesentlichen dieser Videoquelle entnommen.

„Ihr seid nicht Sophie Scholl. Ich bin nicht hier, um zu gefallen, das möchte ich gleich schon mal vor und weg sagen, ich habe eine ganz andere Meinung als ihr alle hier. Ich bin hier, weil ich persönlich, und Achtung Triggerwort, Antifaschist bin. Und ich bin hier als Schüler einer 10. Klasse, weil ich in der Schule lerne, wie gefährlich es ist, wenn Geschichte verdreht wird. Und weil ich hier draußen sehe, wie genau das jeden Tag passiert. Ja, andere Meinungen tun weh. Ich habe genug davon… wie ihr euch hier als Freiheitskämpfer darstellt, während ihr Seite an Seite mit Faschisten marschiert. (Corona war damals… Meinungsfreiheit, ne? Meinungsfreiheit) Corona war damals, aber euer Realitätsverlust wirkt bis heute. Während Intensivstationen überliefen, habt ihr euch über Masken beschwert, als wäre es der Beginn einer Diktatur. Sorry, aber wer einen Pieks mit einem KZ vergleicht, hat im Kopf weniger Schutz als auf dem Gesicht. Ihr nennt euch Querdenker, aber ihr denkt nicht quer. Ihr denkt kreuz und quer und landet zuverlässig im tiefsten Schwachsinn. Eure Recherche besteht aus fünf Minuten Google- und YouTube-Videos mit mehr Hall als Inhalt. Ihr seid nicht kritisch, er ist digital, es tut mir leid. Ihr seid nicht einfach nur laut, schlecht informiert und völlig überzeugt von euren eigenen Irrtum. Ihr sagt, ihr werdet unterdrückt, Ihr sagt, man darf ja nichts mehr sagen. Und trotzdem steht ihr hier mit Mikrofon und redet den größten Unsinn seit der Flacherdentheorie. Wisst ihr, was euch wirklich cancelt? Fakten. Ganz einfach. Ihr lehnt westliche Medien ab, aber zitiert russische Propaganda. Nennt euch Friedensfreunde, aber feiert einen Diktator, der Wohnhäuser in der Ukraine zerbombt. Wenn ihr in eurem Weltbild noch tiefer grabt, kommt euch irgendwann Goebbels entgegen und nickt. 

Und dann diese jämmerlichen Vergleiche. Impfung wie Menschenversuche, Masken wie Judensterne, Querdenken wie Widerstand gegen Nazis. Ihr seid nicht Sophie Scholl. Ihr seid Leute mit WLAN, Wahn- und Opferkomplex. Ich bin hier, weil ich weiß, euer Gerede ist nicht harmlos. Weil ich weiß, wie Faschismus anfängt, nicht mit dem ersten Schuss, sondern mit der ersten Verharmlosung. Und ich bin Schüler, ich lerne Geschichte nicht auswendig gut zuhören. Ich verstehe, warum wir sie brauchen. Und ich erkenne, wann Leute anfangen, sie umzuschreiben. Ich bin, Achtung, Triggerwort, Antifaschist, weil ich gelernt habe, dass Neutralität in Zeiten des Hasses bedeutet, auf der Seite der Täter zu stehen. Ihr tragt Flaggen, die Geschichtsvergessenheit schreien, ihr relativiert den Holocaust, ihr sprecht von Meinungen, wo in Wahrheit Hetze steht. Und wenn man in euren Reden nicht mehr unterscheiden kann, ob sie von einem Impfgegner oder einem Neonazi stammen, dann habt ihr das Denk in Querdenken endgültig verloren. Ich sage es klar wie es ist, Meinung tut weh, andere ich weiß. (Zwischenruf: Wir halten das aus) Ihr seid nicht das Volk, ihr seid nicht die Mehrheit, ihr seid eine lautstarke Minderheit mit zu viel Telegramm, zu wenig Geschichtsverständnis und keiner Ahnung, was echte Unterdrückung bedeutet. (Zwischenruf: Aber du weißt es) Ich werde laut bleiben, ich werde klar bleiben und ich werde antifaschistisch bleiben. Nicht irgendwann, nicht wenn es zu spät ist, sondern genau jetzt. Und ihr? Ihr könnt weiter in eurer Blase bleiben, mit Aluhüten und Applaus von den Falschen. Aber wundert euch nicht, wenn euch draußen dann keiner mehr zuhört. Dankeschön.“

Es ist wirklich atemberaubend. Hans-Rudolf Milstrey sagt offensichtlich etwas, dem alle zustimmen, weil sie Angst davor haben, dass ihnen etwas genommen wird, was ihnen schon vor Jahren genommen wurde. Aber sie machen nicht die verantwortlich, die ihnen die Grundrechte genommen haben. Sie hassen auf einer Demo gegen Hass denjenigen, der darauf hinweist und jagen ihn davon. Wenn er jünger gewesen wäre, kann man nicht ausschließen, dass ihn eine aggressive Antifameute auch noch verfolgt und gezüchtigt hätte. Das ist die aktuelle Realität in diesem Lande. 

Von altlinks, liberal über konservativ bis rechts ist ein Diskurs in vielen Bereichen möglich.  Der junge Max darf inhaltslos, antidemokratisch und wissenschaftsfeindliche Hass über Menschen auskübeln, die ihm die freie Rede auf ihrer Demo gewähren. Im woken Spektrum ist der Debattenraum dermaßen verengt, dass man zu kaum einem Thema mehr einen halbwegs intakten vorfindet. Menschen wie Max sehen sich auf einer missionarischen Mission und versuchen, den Debattenraum auch noch dort zu zerstören, wo er noch besteht. Dafür werden sie in ihrer Blase gefeiert (Nochmal: Es geht nicht um Max. Er ist jung und darf das. Es geht um die Brandmaurerei, die derartiges hervorbringt und stützt).

Die öffentlichen Debattenräume sind das Lebenselixier der Demokratie. Ohne sie entfällt nach Rainer Mausfeld die Möglichkeit (!) der Demokratie. Die Teilnehmer dieser Demo gegen rechts und für „Demokratie“ haben es bedauerlicherweise nicht einmal geschafft, diese moderaten und wahren Worte, die im Geiste der Versöhnung gesprochen werden sollten, zu ertragen. Das muss sehr zu denken geben in einer Zeit, in der gerade solche Menschen kriegstüchtig gemacht werde sollen. Denn ein Großteil der Maßnahmenkritiker wird hierauf nicht mehr hereinfallen. Dort hat man bereits einiges von den Spielen der Macht und den Techniken der Machtausübung verstanden, die genau so umgesetzt werden und funktionieren, wie es hier unter Beweis gestellt wurde. Diese Gegenüberstellung ist ein Lehrbeispiel, wie Demokratie gelingen kann – und wie sie untergeht.

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