Wie CDU-Strategien, internationale Entwicklungen und parteiübergreifende Mechanismen den Aufstieg der AfD begünstigten.
(Den folgenden sehr lesens- und bedenkenswerten Text habe ich bei Tarek Montaoglu auf Facebook entdeckt)
Die politische Landschaft Deutschlands hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Insbesondere der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) wirft Fragen nach den Ursachen und den Reaktionen etablierter Parteien auf. Ein Strategiepapier der CDU aus dem Frühjahr 2015, internationale Entwicklungen wie die Flüchtlingskrise sowie das parteiübergreifende Verhalten im Bundestag könnten dabei eine bedeutende Rolle gespielt haben.
*Das CDU-Strategiepapier und die Dynamik im Jahr 2015: AfD als Chance? (1)
Ein wichtiger zeitlicher Zusammenhang ist hier zu beachten: Das zentrale CDU-Strategiepapier, das sich mit dem Umgang mit der AfD beschäftigte, wurde am 30. März 2015 erstellt und am 7. April 2015 letztmals geändert. Es analysierte die veränderte Parteienlandschaft nach den Landtagswahlen 2014 und zeigte strategisch auf, dass eine im Bundestag vertretene AfD rot-rot-grüne Koalitionen verhindern könne. Wörtlich heißt es:
„Die Etablierung der AfD hat die politische Landschaft verändert, indem sie neue Koalitionsoptionen erschwert und vor allem die Bildung einer rot-rot-grünen Bundesregierung nahezu unmöglich gemacht hat.“ (1, S. 31)
Weiter heißt es im Papier:
„Vor allem die Abwehr einer rot-rot-grünen Mehrheit war für die Union ein zentrales Ziel im Wahlkampf.“ (1, S. 36)
Die Union richtete ihren Wahlkampf damit eher auf eine Auseinandersetzung mit der SPD und möglichen linken Bündnissen aus und nicht auf die direkte Konfrontation mit der AfD:
„Die Union setzte im Wahlkampf weniger auf eine Konfrontation mit der AfD als auf die Auseinandersetzung mit der SPD und deren Bündnisoptionen.“ (sinngemäß aus 1, S. 36)
Diese strategischen Überlegungen lagen mehrere Monate vor den entscheidenden Weichenstellungen in der deutschen Flüchtlingspolitik.
*Die Eskalation der Flüchtlingskrise und Merkels Kundgabe (2)(6)
Im Verlauf des Jahres 2015 verschärfte sich die Flüchtlingskrise weiter, auch aufgrund fehlender internationaler Unterstützung: Im Frühjahr/Sommer 2015 waren die UNHCR-Programme für syrische Flüchtlinge nur unzureichend finanziert, was zu erheblichen Kürzungen bei der Nahrungsmittelhilfe führte. Viele Menschen, die in Lagern u.a. in der Türkei, Jordanien und dem Libanon lebten, machten sich aus purer Not auf den Weg Richtung Europa (2).
Am 31. August 2015 trat Angela Merkel vor die Presse und sagte den inzwischen berühmten Satz: „Wir schaffen das.“ Damit sandte sie ein starkes Signal nach außen, ohne dass parallel sichere, legale Fluchtrouten geschaffen wurden.
Nur wenige Tage später, am 4./5. September 2015, entschied die Bundesregierung, die Grenze für Tausende in Ungarn gestrandete Flüchtlinge zu öffnen. In dieser Nacht setzten sich zehntausende Menschen zu Fuß und per Bus Richtung Deutschland in Bewegung. Diese Nachricht ging natürlich reihum bis in die Flüchtlingslager.
Diese Reihenfolge zeigt: Die CDU hatte ihre Strategie zur parteipolitischen Positionierung gegenüber der AfD schon festgelegt, bevor die dramatische Eskalation der Flüchtlingskrise und Merkels berühmte Kundgabe erfolgte.
*Die tödlichen Konsequenzen fehlender sicherer Wege (2)(6)
Durch Merkels öffentliches Signal und die fehlende Schaffung sicherer Wege brachten sich viele Menschen in Lebensgefahr. Tausende verloren auf ihrer Flucht das Leben. Laut UNHCR starben allein 2015 mindestens 3.700 Menschen im Mittelmeer (6). Es wäre technisch möglich gewesen, legale Fluchtwege – etwa per Flugzeug – zu schaffen. Viele Flüchtlinge hätten sogar ihre Tickets selbst bezahlen können. Die europäischen Visa-Bestimmungen machten dies jedoch unmöglich. Der fehlende politische Wille zu echten, sicheren Lösungen führte zu unzähligen vermeidbaren Toten.
*Die NPD und die Hürden eines Parteiverbots (3)
Im Januar 2017 lehnte das Bundesverfassungsgericht den Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen NPD ab. Zwar wurde der Partei eine verfassungsfeindliche Gesinnung attestiert, jedoch sah das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die NPD ihre Ziele auch tatsächlich durchsetzen könnte (3). Das verstärkt den Eindruck, dass rechte Parteien, solange sie im System kontrollierbar bleiben, politisch nützlich sein können, um das Spektrum nach rechts zu verschieben.
*Die Rolle der Grünen, die Umdeutung der Ökologie und das parteiübergreifende Kalkül (4)(5)
Es ist ein Irrglaube, der politische Rechtsruck sei eine bloße Nebenwirkung einzelner Fehler. In Wirklichkeit wirken sämtliche etablierten Parteien mit – auch die Grünen. Beispiele:
– Systemlogik: Angst und Unsicherheit erleichtern Freiheitseinschränkungen und Aufrüstung.
– Spaltungsstrategie: Ein gespaltenes Land lenkt von Macht- und Geldflüssen ab.
– Scheindiskussionen: Während moralische Debatten dominieren, werden Gesetze zur Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte beschlossen – mit Zustimmung aller großen Parteien.
– Grüne und Sicherheitspolitik: Die Grünen entwickelten sich von pazifistischer Grundhaltung hin zu Befürwortern von Waffenlieferungen (4) und Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch das NetzDG (5).
Ökologie: Die Ökologie wurde von einer systemkritischen und gesellschaftsverändernden Bewegung zu einem Instrument der Identitätspolitik und oft oberflächlichen Symbolpolitik umgedeutet. Der eigentliche Kampf um Umverteilung, Gerechtigkeit und Frieden tritt in den Hintergrund – während Ökologie heute häufig in Form von CO₂-Reduktion, Konsumverhalten und individueller Verantwortung diskutiert wird, nicht mehr als gesamtgesellschaftliche Systemfrage. (vgl. Interview (7))
Wer davon profitiert? Ein berechenbares, verängstigtes Volk ist für internationale Wirtschaftsinteressen, Sicherheitsapparate und Politik leichter steuerbar!
*Strategie: Erst das rechte Lager stärken, dann „alles gegen rechts“ – und die eigentlichen Fragen verschieben
Immer deutlicher zeigt sich: Der Rechtsruck war kein Unfall, sondern das Ergebnis einer bewusst gelenkten politischen Strategie. Zunächst wurde durch verschiedene politische Maßnahmen und Kommunikationsstrategien – einschließlich der Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise – das rechte Lager, insbesondere Parteien wie die AfD, gestärkt. Dies geschah im Zuge sozialer Verwerfungen nach der Bankenkrise, durch Austeritätspolitik, eine Politik der Entsolidarisierung und durch das Framing gesellschaftlicher Konflikte.
Als die Rechten erstarkt waren, begann der zweite politische Schritt: Die mediale und gesellschaftliche Kampagne „Alles gegen rechts“. Diese Erzählung scheint auf den ersten Blick wie eine moralische Abwehr, ist aber im Kern ein Ablenkungsmanöver. Während der Fokus auf der Abwehr von rechts liegt, geraten die wahren Ursachen – soziale Ungleichheit, Oligarchisierung, die Aushöhlung der Demokratie, fehlende soziale Gerechtigkeit und ökologische Systemfragen – aus dem Blick.
Wie das zitierte Interview (7) herausarbeitet:
„Der ganze Diskurs gegen rechts ist eigentlich ein Ablenkungsdiskurs von gegen oben… Am Ursprung war nichts Rechtes, sondern eine Bankenkrise, die das Volk zerstört hat. […] Wir haben mit Steuergeldern Banken gerettet und danach gesagt: Jetzt ist kein Geld mehr für eure Sozialsysteme da. Und dann muss uns ein Argument einfallen, um zu sagen: Oh, der Populismus ist jetzt rechts.“
Parallel dazu wurden klassische linke Themen – soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung, Frieden und eben auch Ökologie – systematisch in Identitäts- und Oberflächendebatten umgewandelt. Der eigentliche Kampf um gesellschaftliche Umverteilung und ökologische Gerechtigkeit wurde so aus der öffentlichen Debatte verdrängt.
Die politische Inszenierung des Rechtsrucks, das Framing „Alles gegen rechts“ und die Transformation linker Themen dienen dazu, gesellschaftliche Energien zu binden, die eigentlichen Machtverhältnisse zu verschleiern und einen Umbau der Demokratie zu ermöglichen, der mehr Kontrolle und weniger soziale Teilhabe und echte ökologische Wende bedeutet.
*Fazit: Ein strategisch begünstigter Rechtsruck – und warum das alle betrifft
Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit:
Wir werden ständig dazu aufgefordert, „gegen rechts“ zu sein. Das klingt erst einmal richtig, doch während wir alle gebannt auf den Kampf gegen Rechtsradikale schauen, geraten die wirklich wichtigen, linken Themen – wie soziale Gerechtigkeit, echte Demokratie, Mitbestimmung und Umweltschutz – in den Hintergrund.
Genau das ist gewollt:
Wenn wir über „rechts“ diskutieren, vergessen wir, wie schlecht es vielen Menschen eigentlich geht, wie ungerecht unser System geworden ist oder wie wenig echte Demokratie wir noch haben. Die Politik verschiebt sich immer weiter nach rechts – meist unbemerkt. Gesetze werden härter, Überwachung nimmt zu, gesellschaftliche Kälte breitet sich aus. So werden wir langsam, aber sicher, in eine Richtung gesteuert, in der autoritäre, ausgrenzende und am Ende sogar faschistische Strukturen ganz normal werden könnten.
Wer immer nur gegen rechts kämpft und dabei die eigentlichen Probleme übersieht, hilft am Ende sogar mit, dass rechte Politik am meisten gewinnt.
Lasst euch nicht ablenken. Fragt euch immer:
Wer profitiert davon, wenn wir nur noch über „rechts“ sprechen?
Welche Themen kommen dann zu kurz?
Und wie können wir dafür sorgen, dass es wieder um soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, Ökologie und echte Demokratie geht – für alle?
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Quellen
(1)CDU-Strategiepapier zur AfD: Hanns-Seidel-Stiftung, Politische Studien Nr. 460, PDF
(2)UNHCR-Bericht zu Finanzierungslücken 2015: UNHCR News
(3)Bundesverfassungsgericht zur NPD: Urteil vom 17. Januar 2017
(4)Grüne und Waffenlieferungen: Bertelsmann Stiftung
(5)Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Beck Aktuell
(6)UNHCR: 3700 Migrants Dead or Missing in Mediterranean in 2015
(7)Interview mit Ulrike Guérot: YouTube, „Wie viel Demokratie ist noch übrig?“