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Die Neuregelung der hausärztlichen Vorhaltepauschale – ein rechtswidriger Eingriff in die Rechte von Ärzten und Patienten

Juraprofessor Dr. Martin Schwab hat sich auf seinem Telegram-Kanal bedenkenswerte Gedanken zur Neuregelung der Vorhaltepauschale gemacht, die ich hier wegen der Bedeutung als Blogbeitrag zur Verfügung stelle, um sie besser teilbar und somit mehr Menschen zugänglich zu machen. Da ich keine Ambitionen habe Kulturstaatsminister zu werden, habe ich mir natürlich seine Erlaubnis eingeholt. Was man aus meiner Sicht an diesem Vorgang erneut sehr gut sehen kann, ist worum es nicht geht: Um Gesundheit.

Liebe Community,

Im August 2025 wurde bekannt, dass die hausärztliche Vorhaltepauschale neu geregelt und der Zugang zu dieser Pauschale maßgeblich u.a. davon abhängt, wie viele Impfungen ein Hausarzt verabreicht:

https://www.kbv.de/praxis/tools-und-services/praxisnachrichten/2025/08-19-extra/vorhaltepauschale-fuer-hausaerzte-neu-geregelt-kbv-und-gkv-spitzenverband-beschliessen-die-details

Diese Neuregelung bedarf einer rechtlichen Einordnung und Bewertung. Ich nehme so viel vorweg: Die Neuregelung greift nicht nur ohne Rechtsgrundlage in die ärztliche Therapiefreiheit ein, sondern gefährdet auch den Zugang impfunwilliger Kassenpatienten zur hausärztlichen Versorgung im Ganzen.

  1. Was ist die Vorhaltepauschale?

Sucht man nach einer Erläuterung des Begriffs „Vorhaltepauschale“, so findet man sie im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB V), worin das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt ist. In § 87 Abs. 2q Satz 1 SGB V heißt es:

„Der Bewertungsausschuss beschließt bis zum 31. Mai 2025 im einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen Regelungen über eine Vergütung zur Vorhaltung der zur Erfüllung von Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung notwendigen Strukturen (Vorhaltepauschale) und insbesondere über Voraussetzungen, die die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer für die Abrechnung dieser Vorhaltepauschale erfüllen müssen.“

Jetzt wissen wir zumindest, worum es geht: Hausärzte sollen Geld allein schon dafür bekommen, dass sie die Strukturen einer zuverlässigen hausärztlichen Versorgung aufrechterhalten. Der Ansatz erscheint durchaus plausibel: Arztpraxen kann man nicht auf Knopfdruck aus dem Boden stampfen, wenn sie akut benötigt werden; sie müssen in diesem Fall bereits vorhanden sein und verlässlich arbeiten. Und das gibt es eben nicht zum Nulltarif.

  1. Was ist bzw. macht ein Bewertungsausschuss?

Wir müssen jetzt nur noch wissen, was der Bewertungsausschuss ist. Dazu lesen wir in § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V:

„Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen vereinbaren mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen durch Bewertungsausschüsse als Bestandteil der Bundesmantelverträge einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen und einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für die zahnärztlichen Leistungen, im ärztlichen Bereich einschließlich der Sachkosten.“

Eben dieser Bewertungsausschuss hat auch die hier vorgestellten neuen Regeln beschlossen. Er beschließt sie jedoch nicht nach freiem Ermessen, sondern hat inhaltliche Vorgaben zu beachten, die sich aus § 87 Abs. 2q Satz 3 SGB V ergeben:

„Die in Satz 1 genannten Voraussetzungen sollen insbesondere eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen, bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, die vorrangige Erbringung von Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet, eine Mindestanzahl an zu versorgenden Versicherten sowie die regelmäßige Nutzung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur umfassen.“

Wir müssen jetzt also wissen, was das Gesetz unter der „Erbringung von Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet“ versteht. Hier fällt der Blick auf § 73 Abs. 1 SGB V. Dort sind die Leistungen aufgelistet, die der Gesetzgeber dem hausärztlichen Spektrum zuordnet; zu ihnen zählen nach § 73 Abs. 1 Nr. 4 unter anderem

„die Einleitung oder Durchführung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen“.

Nirgends ist in § 73 Abs. 1 SGB V ausdrücklich von Impfungen die Rede. Als „präventive Maßnahme“ wäre es vielmehr ebenso anzusehen, wenn ein Arzt dafür sorgt, dass seine Patienten im Winter einen ausreichend hohen Vitamin-D-Spiegel aufrechterhalten. Es befremdet daher sehr, wenn das Deutsche Ärzteblatt vom 19.8.2025

https://www.aerzteblatt.de/news/vorhaltepauschale-fur-hausarztpraxen-neu-geregelt-6bc1df39-78a8-41a9-a30f-6b2e6c2d0dec

die Kürzung der Vorhaltepauschale für Ärzte, die nicht oder wenig impfen (dazu noch unten), mit dem Argument rechtfertigt, Impfen gehöre zur hausärztlichen Grundversorgung: Das gilt für andere Maßnahmen der Immunprophylaxe nicht minder – ohne dass aber der Bewertungsausschuss jenen anderen Maßnahmen einen derart herausgehobenen Stellenwert einräumt!

Wir halten fest: Nichts und niemand, insbesondere kein Gesetz, hat den Bewertungsausschuss gezwungen, die Leistungskriterien für die Vorhaltepauschale so zu formulieren, dass Ärzte zum Impfen gedrängt, wenn nicht gar ökonomisch gezwungen werden. Der Bewertungsausschuss hat das, was sogleich näher zu schildern sein wird, vielmehr aus eigener Machtvollkommenheit beschlossen.

  1. Was hat der Bewertungsausschuss im Sommer 2025 in Bezug auf die Vorhaltepauschale beschlossen?

a) Der Bewertungsausschuss hat am 19.8.2025 zum einen beschlossen, dass eine Arztpraxis, die in einem Quartal weniger als zehn Impfungen verabreicht, satte 40% (!!) der Vorhaltepauschale verliert (!!).

b) Der Bewertungsausschuss hat am 19.8.2025 zum anderen insgesamt zehn Leistungskriterien für einen Zuschlag auf die Vorhaltepauschale festgelegt. Wer mindestens zwei dieser Kriterien erfüllt, bekommt einen kleineren, wer mindestens acht erfüllt, einen größeren Zuschlag.

Eines dieser Leistungskriterien besteht darin, dass im Quartal 1-3/2026 jeweils 7%, im Quartal 4/2026 25% der Abrechnungsfälle Impfungen sind. Man darf sich das so vorstellen: Ein Arzt, der im Quartal 1.000 Patienten behandelt, muss dafür sorgen, dass 250 dieser Behandlungen Impfungen sind (wobei mehrere Impfungen desselben Patienten zum selben Zeitpunkt auch als mehrere Behandlungsfälle gelten). Jeder Patient, der z.B. mit einem Atemwegs- oder einem Magen-Darm-Infekt in die Praxis kommt, „versaut“ dem Arzt allein schon dadurch die Impfquote.

Ein Arzt, der die soeben beschriebenen Impfquoten nicht erreicht, kann den Bonus immerhin noch mithilfe anderer Leistungskriterien verdienen, aber es wird für ihn eben deutlich schwerer, dies zu erreichen.

  1. Was wird die neu geregelte Vorhaltepauschale bewirken?

Die soeben beschriebenen Leistungskriterien setzen einen Arzt unter massiven ökonomischen Druck, viele Impfungen auszureichen. Das bedeutet:

a) Die Therapiefreiheit von Hausärzten, die Impfungen generell skeptisch gegenüberstehen, wird durch den 40%-Abschlag für nicht oder wenig impfende Ärzte grundlegend missachtet. Den Ärzten wird zwar nicht befohlen, zu impfen, aber sie werden finanziell ausgeblutet, wenn sie es nicht tun. Wir haben es hier mit dem klassischen Fall eines faktischen Grundrechtseingriffs zu tun. Dieser Eingriff erfolgt ohne Rechtsgrundlage – denn wie gesehen, hat der Bewertungsausschuss nicht etwa eine gesetzliche Wertung vollzogen, sondern den hohen Stellenwert von Impfungen aus eigenem Antrieb beschlossen.

b) Die massive Prämierung massenhaften Impfens birgt die Gefahr, dass es die Hausärzte bei den Impfungen mit der Risikoaufklärung nicht so genau nehmen. Jeder Patient, der im Angesicht der Risiken von einer Impfung Abstand nimmt, kostet bares Geld.

c) Vor allem im Quartal 4/2026 werden die Hausärzte versuchen, das Impfquorum möglichst rasch zu erfüllen. Da die vom Bewertungsausschuss festgelegten Impfquoten der Pharmaindustrie massiv in die Hände spielen, wage ich die Prognose, dass wir 2026 spätestens im August ein Trommelfeuer von Panikmeldungen über neueste Killer-Virusvarianten zu hören bekommen, damit die Patienten die Impfangebote, die vermutlich im Oktober 2026 massiv hochgefahren werden, auf breiter Fläche nutzen. Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass die herkömmlichen Medien dieses Spiel anstandslos mitspielen werden.

d) Hausärzte werden sich von Kassenpatienten trennen, die sich nicht impfen lassen wollen. Diese werden so schnell auch keinen neuen Hausarzt finden. Im akuten Ernstfall sind solche Patienten von der hausärztlichen Versorgung abgeschnitten.

e) Womöglich wird der eine oder andere Hausarzt auch Scheinimpfungen verabreichen. Das Risiko, dabei erwischt zu werden, ist aber immer gegenwärtig, und wenn so etwas auffliegt, versteht die deutsche Justiz keinen Spaß. Auch das haben wir in der Corona-Zeit lernen müssen.

  1. Kann man etwas dagegen unternehmen?

a) Der 40%-Abschlag für weniger als 10 Impfungen im Quartal ist als gesetzloser Eingriff in die ärztliche Therapiefreiheit rechtlich unzulässig und der Beschluss des Bewertungsausschusses vom 19.8.2025 aus diesem Grunde nichtig. Ärzte, die nicht oder wenig impfen, können ihre volle Vorhaltepauschale erfolgversprechend einklagen.

b) Auch die hohen Impfquoten als Kriterium für Bonuszahlungen stellen einen solchen gesetzlosen Eingriff dar, wenn auch keinen ganz so schweren wie der 40%-Abschlag. Da die Leistungskriterien als Paket beschlossen wurden, ist der Beschluss des Bewertungsausschusses vom 19.8.2025 insgesamt rechtlich unzulässig und nichtig. Der Leistungskatalog für die Vorhaltepauschale muss insgesamt neu beraten und beschlossen werden.

Damit gibt man den Hausärzten allerdings Steine statt Brot. Denn ohne Kriterienkatalog gibt es gar keinen Bonus. Bis die Kriterien neu beschlossen werden, bleibt daher nichts anderes übrig, als die Impfungen aus dem Kriterienkatalog herauszurechnen und den kleinen Bonus schon dann zu zahlen, wenn eines (statt zwei), und den großen, wenn sieben (statt acht) Leistungskriterien erfüllt sind. Ärzte, die ihren Zuschlag auf die Vorhaltepauschale gerichtlich geltend machen, müssten dies so vortragen.

c) Ganz schwierig stellt sich die Frage nach dem Rechtsschutz der Kassenpatienten dar. Denn wenn sie sich nicht impfen lassen wollen, finden sie möglicherweise keinen Hausarzt. Solange sie hausärztlich versorgt sind, sind sie vom Beschluss des Bewertungsausschusses nicht betroffen. Wenn ihnen aber im akuten Krankheitsfall sämtliche Hausärzte in halbwegs erreichbarer Nähe die Behandlung verweigern, ist ihre Gesundheit gefährdet. Müssen sie mit ihrem Rechtsschutzbegehren wirklich warten, bis es so weit kommt? Wer wäre der Klagegegner – die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband gesetzlicher Krankenversicherer? Und worauf wäre das Rechtsschutzbegehren gerichtet? Würde der Beschluss des Bewertungsausschusses vom 19.8.2025 auf ihre Klage hin für nichtig erklärt, hätte dies keine rechtliche Wirkung im Verhältnis zu den Hausärzten und würde ihnen die hausärztliche Versorgung nicht zurückbringen. Ich werde darüber wohl noch ein bisschen brüten müssen…

Für diesen langen Text muss ich mich entschuldigen. Aber das Thema ist leider komplex…

Herzliche Grüße
Ihr und Euer
Martin Schwab

(Titelbild: qimono auf pixabay.de)