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Ich bin traumatisiert

Es fällt mir bei meinem durchaus vorhandenen Selbstbewusstsein bisweilen nicht leicht, es mir einzugestehen, aber ja: die im nahen Umfeld ferne Machtstrukturen stützende Mehrheitsgesellschaft hat mich wohl in einem gewissen Maß traumatisiert.

Es ist nicht das Unrecht von 2020. Das hat mich zwar fassungslos und bisweilen wütend gemacht. Aber damals konnte ich allen noch zumindest guten Willen unterstellen. Was aber 2021/2022 passiert ist, dieser unvorstellbare Exzess bis hin zum Bruch sogar des Nürnberger Kodex, zu dem fast alle im besten Fall geschwiegen haben, von denen ich dachte, wir hätten ein ähnliches Wertekorsett, der hat etwas grundlegend in mir verändert und ich weiß nicht, ob ich jemals darüber hinwegkommen werde. Wie ich mich kenne, wohl eher nicht.

Ich brauche das jetzt hier auch nicht zum tausendsten Mal schreiben, denn diejenigen, die bewusst erlebt haben, was hier los war, wissen es nicht nur, sondern – viel wichtiger – haben es ebenfalls am eigenen Leib erfahren und gespürt. Diese Erfahrung ging durch Mark und Bein und hat sich tief eingebrannt. Die anderen werden es nicht verstehen können. Das hat die Erfahrung gelehrt.

Es hat mich große Überwindung gekostet, immer wieder auf ehemalige Weggefährten zuzugehen. Es sind die Leute, die keinen Widerspruch aushalten oder dulden, die mit FFP2-Masken im Sommer bei Nichtinzidenzen follow the science schrien, Impfpflicht, 2G und zerocovid forderten, die Ende Februar 22 auf dem Königsplatz in München die bedingungslose Unterstützung der Ukraine bis zur vollständigen Niederlage Russlands forderten, die die Letzte Generation und eine immer größere Machtverlagerung auf globale Ebene toll finden.

Ich habe über Jahre eine große Gemeinschaft mit aufgebaut, weil ich überzeugt war, dass man hier lokal viel bewegen und in die richtige Richtung lenken kann. Drumherum sind weitere Strukturen entstanden. Das war für viele Jahre mein sinnstiftender Lebensinhalt. Ich habe es als Wertegemeinschaft verstanden.

Sie haben sich auf dem Papier dem Gemeinwohl und mit leeren Worten hehren Werten verschrieben. Haben sie sich verschrieben?

Weil in meiner Wahrnehmung die gigantische 2G-Diskriminierung und viel anderes auch dazu nicht so recht passen will, habe ich im Sommer 2023 einen letzten Anlauf für eine Aussprache gestartet, um Verständnis zu schaffen, aufzuarbeiten und die Gemeinschaft wieder zu versöhnen. Zu diesem Zeitpunkt war ja alles vorbei und ich hoffte auf einen sachlichen Umgang. Ich habe dies in einem längeren Text versucht, wenig vorwurfsvoll, sondern mit Ich-Botschaften, was mir, was uns widerfahren ist. Ich habe um ein Gespräch ersucht, bloß keine verhärtende schriftliche Antwort. Ein Gespräch, moderiert, zunächst in überschaubarer Runde, wie wir dies im Wir-gemeinsam-Bündnis in mehreren Debattenräumen erfolgreich praktiziert hatten. 

Die brüske Reaktion darauf hat sich für mich wie eine öffentliche Hinrichtung angefühlt.

Ich kann nicht mehr und ich mag auch nicht mehr auf diese Leute zugehen, nicht einmal dann, wenn es nötig wäre. Ich kann nicht mehr auf deren Veranstaltungen gehen, die mich zum Teil mit ihrer Ignoranz und ihrer Doppelmoral wütend machen. Ich spüre noch immer einen erheblichen Widerstand, mich mit Leuten zu treffen, von denen ich nach mehreren Treffen weiß, dass man mit ihnen einen angenehmen Abend verbringen kann, an dem es fast wie früher ist. Aber ist der Kloß im Hals unberechtigt, wenn man weiß, dass es wie früher sein kann? Wie früher, als man später verraten wurde?

Ich habe mich überschätzt und wollte etwas erzwingen. Die Hürden sind zu hoch und ich habe auch keine Lust mehr, mich mit Menschen zu umgeben, die meinen, es wäre nichts gewesen, aber ein Gewese um nichts machen. Ich habe keine Lust mehr, mehrfach zugeschlagene Türen erneut zu öffnen in einem Umfeld, in dem so viele Türen offen stehen.

Es geht mir in diesem Text jedoch gar nicht um mich. Ich komme klar. Sehr gut sogar. Es geht um uns alle. Womit wir es gerade zu tun haben, ist der Stoff, aus dem Weltkriege entstehen und ein Totalitarismus, den auch die nicht wollen können, die das jetzt noch denken.

Warum ich das also alles erzähle: Ich weiß, dass es sehr vielen Menschen ebenso geht und daher wundere ich mich auch über deren Reaktion auf den aktuellen Horror in Israel, der überhaupt nicht einzubeziehen scheint, was ein Trauma über Jahrzehnte mit Menschen macht, die dem nicht entfliehen können und wenn sie ihm doch entfliehen können, dann schwer traumatisiert und ein weiteres Mal traumatisiert durch die Fluchterfahrung. Menschen, bei denen es nicht “nur” um das geht, was wir erleben mussten, sondern um regelmäßigen Beschuss, um Bombardierungen, Minen und Raketen, die das Obdach dem Erdboden gleich machen, Kindern die Eltern nehmen oder Eltern die Kinder, die Kinder traumatisiert, geistig und körperlich verletzt ohne Ausweg in Ohnmacht aufwachsen lassen.

Ich erwarte nicht, dass man dies ohne eigenes Erleben auch nur ansatzweise verstehen kann. Aber mit einem Mindestmaß an Menschlichkeit, an Empathie und gerade mit dem eigenen Erleben müsste es doch wenigstens dazu reichen, zu verstehen, dass man manches nicht verstehen kann, aber im Wissen, was weitaus geringeres Unrecht bei einem selbst schon bewirkt hat, wenigstens weniger hasserfüllt zu agieren und vielleicht lieber einmal zu schweigen statt Hass und weiteres Leid zu schüren.

Zumal wenn man eigentlich bereits erkannt hatte, dass dies wenigen nützt und vielen schadet – letzten Endes auch einem selbst.