Erneut ein guter Text von Tarek Montaoglu auf Facebook, mit dem ich meine Rubrik „Wie wollen wir leben“ mal wieder aufleben lassen möchte:
Als ich 2013 eine Arte-Dokumentation über China ansah, begegnete mir erstmals der Begriff „Konsum-Revolution“. Er beschrieb treffend, wie sich das Konsumverhalten der chinesischen Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit drastisch verändert hatte – hin zu westlichen Standards, geprägt von Überfluss und permanentem wirtschaftlichen Wachstum. Mich faszinierte dieser Ausdruck, doch ich dachte gleichzeitig, dass sich eine solche Revolution auch in die entgegengesetzte Richtung vollziehen könnte: eine Revolution hin zu bewussterem, reduziertem und nachhaltigerem Konsum.

Damals gewann die Bewegung „March Against Monsanto & Co“ weltweit Aufmerksamkeit. Sie richtete sich nicht nur gegen die gentechnische Manipulation von Saatgut, gegen Glyphosat oder Pestizide. Im Kern war es eine Bewegung gegen die globale Massenproduktion von Lebensmitteln, die von einer Handvoll multinationaler Konzerne kontrolliert wird. Diese Unternehmen verdrängen Kleinbauern, korrumpieren politische Prozesse und treiben skrupellos ihr Wachstum voran, um immer mehr Macht und Einfluss zu gewinnen. Landwirtschaft wurde zu einer industriellen Fabrik, deren einziges Ziel darin besteht, die Erträge auf Kosten von Boden und Wasser zu maximieren.
Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Privatisierung von lebenswichtigen Ressourcen, etwa dem Trinkwasser, wie es Nestlé praktiziert, indem Wasser weltweit in Plastikflaschen abgefüllt und vermarktet wird. So kontrolliert ein börsennotiertes Unternehmen, das einzig auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, eine der grundlegendsten Voraussetzungen des Lebens.
Mittlerweile regt sich kaum noch jemand darüber auf; diese Entwicklung ist zur Normalität geworden. Viele haben resigniert und leben auf ihrer eigenen, geschützten „Insel“, wo sie Alternativen gefunden oder geschaffen haben. Unsere Abhängigkeit von diesen Konzernen wächst jedoch unaufhaltsam. Diese Unternehmen besitzen und verwalten Land, sichern sich Monopolstellungen und nutzen ihre immense Finanzkraft, um immer weiter zu wachsen – eine Spirale, in der der eine Konzern den nächsten übernimmt und so die Macht immer konzentrierter wird.
Sie bestimmen zunehmend, wie wir leben, was wir essen und trinken, letztlich, wie unser gesamtes Leben aussieht. Von einer echten freien Marktwirtschaft kann kaum noch die Rede sein, denn obwohl es scheinbar unzählige Marken gibt, verbirgt sich dahinter oft derselbe Konzern. Die Vielfalt, die uns vorgegaukelt wird, ist in Wahrheit nur eine Illusion. Hinter einer Vielzahl von Produkten, Marken und Labels stehen dieselben Akteure, dieselben finanziellen Interessen, dieselbe Logik von Profit und Wachstum um jeden Preis.
Das Problem ist nicht allein der Verlust der Vielfalt an Produkten, sondern der Verlust von Vielfalt in unseren Entscheidungen, in unserem Lebensstil.
Was wir heute erleben, ist die Kehrseite der „Konsum-Revolution“ – eine Art „Konsum-Devolution“. Wir verlieren schleichend unsere Fähigkeit, autonom und im Einklang mit der Natur zu leben. Die ursprüngliche Idee von Selbstversorgung, Regionalität und einer Gemeinschaft, die sich selbst ernähren und versorgen kann, wurde ersetzt durch eine vollständige Abhängigkeit von anonymen globalen Strukturen, die kaum noch transparent sind.
Die eigentliche Freiheit, sich bewusst für ein Leben im Einklang mit der Natur zu entscheiden, erfordert inzwischen enorm viel Kraft, Aufwand und bewussten Verzicht. Was einst selbstverständlich war – saisonal zu essen, regional zu kaufen, zu wissen, wer unsere Lebensmittel produziert –, ist heute ein Privileg. Es bedarf einer bewussten Anstrengung, um sich dem Druck und der Verführung des Marktes zu entziehen, denn Bequemlichkeit und niedrige Preise haben ihren Preis: unsere Abhängigkeit.
Hinzu kommt, dass politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen alternative Strukturen oft erschweren. Viele kleine Betriebe kämpfen mit bürokratischen Hürden, während große Konzerne durch Lobbyarbeit und gesetzliche Schlupflöcher Vorteile genießen. Auch die Bildung über nachhaltige Alternativen und die Bedeutung von regionalen Wirtschaftskreisläufen kommt in unserem Alltag meist zu kurz. Hier braucht es ein Umdenken, nicht nur auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene – etwa durch die Förderung von lokalen Projekten, transparente Kennzeichnung und echte Verbraucheraufklärung.

Es gibt durchaus Alternativen, die zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist. Immer mehr Menschen schließen sich solidarischen Landwirtschaftsprojekten (SoLaWi) an oder gründen Einkaufsgemeinschaften, bei denen die Mitglieder direkt mit den regionalen Erzeugern zusammenarbeiten. In manchen Regionen entstehen wieder Genossenschaften, die gemeinsam Land bewirtschaften und Ressourcen teilen. Solche Initiativen sind zwar oft noch Nischen, doch sie machen Mut, weil sie das Wissen und die Verantwortung für unsere Lebensgrundlagen zurück in die Hände der Menschen legen.
Jede Gemeinschaft, jede Kommune, jedes Projekt, das sich gegen diese Entwicklung stemmt und eigene, nachhaltige Wege geht, zeigt uns, dass es möglich ist. Diese Initiativen sind wertvolle Beispiele dafür, wie ein Leben aussehen könnte, das nicht von wenigen Konzernen vorgegeben, sondern von Menschen selbst gestaltet wird. Sie sind Pioniere einer neuen, notwendigen Revolution – einer „bewussten Konsum-Revolution“.
Ich frage mich manchmal, ob es überhaupt möglich ist, aus dieser Spirale auszubrechen. Sicherlich benötigt man Kapital, um Land zu erwerben und nachhaltige Strukturen aufzubauen. Doch es erscheint mir notwendig, eine Art Parallelwelt zum heutigen Konsum- und Wirtschaftsmodell zu schaffen – auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob dies auf Dauer geduldet würde, besonders wenn immer mehr Menschen diesen Weg einschlagen. Dennoch halte ich den Versuch für unverzichtbar.
Natürlich bringt ein solches Leben Aufgaben und Pflichten mit sich, erfordert Organisation und Verzicht auf viele Dinge, die uns heute selbstverständlich erscheinen. Doch der Gewinn eines solchen Lebens liegt in der Selbstbestimmung und in einer Form von Freiheit, die ich in der heutigen, konzernbestimmten Welt vermisse. Ich weiß, dass ich nicht länger für ein Unternehmen oder einen Konzern arbeiten möchte – das fühlte sich für mich immer nach Ausbeutung an. Viel sinnvoller erscheint es mir, für eine Gemeinschaft zu arbeiten, mit anderen zusammen, in einer gemeinsamen Vision.
Ich bin mir bewusst, dass ein solches Leben nicht frei von Herausforderungen sein wird, doch es erscheint mir sinnvoll, erstrebenswert und notwendig.
Es geht letztlich darum, unsere Entscheidungsfreiheit zurückzugewinnen – eine echte Wahlmöglichkeit und keine Illusion. Es geht darum, dass wir selbst bestimmen können, wie wir leben möchten, was wir essen und trinken, und welchen Fußabdruck wir auf dieser Welt hinterlassen. Nur so können wir wieder Teil einer authentischen Vielfalt sein, die uns und unseren Planeten gesund hält und bewahrt.