Den folgenden Text habe ich am 9. Mai 2021 auf Publikum.net veröffentlicht und ziehe ihn nun hierher um, nachdem ich jüngst an diesen Irrsinn erinnert wurde. Ich nutze die Gelegenheit, die vergessene Mitarbeiterin nachzutragen, die hustend im Gang stand. Aber das war noch der am wenigsten verstörende Aspekt.
Nach mehr als einem Jahr Pandemieerfahrung lechzen die Menschen nach Regeln und die Politiker geben sie ihnen. Die Regeln sind teils unlogisch und sinnlos, werden aber gleichwohl mit Verve umgesetzt. Und alle befolgen sie brav, egal was sie bedeuten.
Am Freitag, als von der Politik beschlossen wurde, dass Grundrechte nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung gewährt werden, war ich einkaufen. Die Banalität der Regeln wird sofort und taggleich brav umgesetzt. Egal was sie epidemiologisch oder für die Gesellschaft bedeuten bzw. statt zu fragen, ob es diese Art von Selektion überhaupt braucht, ja ob sie überhaupt sein darf.
Grundrechte hat jeder Mensch. Sie sind einfach da, man muss sie nicht erwerben. Es braucht keine Voraussetzungen, um sie auszuüben. Vielmehr ist es so, dass deren Einschränkung begründet werden muss und dies auf einer belastbaren Grundlage. Eine solche haben wir bis heute nicht.
Vielmehr spricht viel dafür, dass die selektive Gewährung von Grundrechten der vielleicht am wenigsten diskutierte Skandal in dieser Pandemie ist. Kinder sind durch Corona so gut wie nicht betroffen. Die Zahlen bewegen sich in einem kaum messbaren Bereich (0,00002%). Die Risikogruppen sind mittlerweile geimpft. Jeden Tag werden rund 1 Million Menschen geimpft. Die Erkältungssaison ist vorbei, die Zahlen befinden sich im Sinkflug. Just in dieser Zeit und in diesem zu Grunde liegenden Sachverhalt werden die Grundrechte in nie dagewesenem Ausmaß eingeschränkt sowie Föderalismus, Rechtsstaat und Gewaltenteilung beschädigt. Nicht etwa unmittelbar vor der Erkältungssaison, als man es unterließ durch Maßnahmen, die keine demokratiegefährdende Novelle des Infektionsschutzgesetzes erfordert hätten, Leben zu retten.
Will man nicht wütend werden, erträgt sich dieser bis vor einem Jahr wohl undenkbare Angriff auf unseren nach unserer historischen Erfahrung eingerichteten demokratischen Schutzwall nur noch mit Humor. Hier meine Mail an den Baumarkt. Denn nach dem Einkauf habe ich mich natürlich bedankt. So will es die Regel:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich hatte für heute Ware zur Abholung reserviert. Sie können die Ware wieder für andere Kunden zum Kauf freigeben. Ihr Hygiene-„Konzept” hätte ein zu großes Risiko für mich und andere bedeutet, so dass ich mich anderweitig um den Erhalt der Ware bemüht habe. Ich benötigte, um weiterarbeiten zu können, dringend ein Starkstromkabel. Einen Nachweis über meine selbständige Tätigkeit hatte ich bei der Reservierung nicht zur Hand, weil ich unterwegs war und auch nicht wusste, ob es ausreicht, dass ich Freiberufler und Nebenerwerbslandwirt bin, weil nur Handwerker und Gewerbetreibende nicht infektiös sind. Also musste ich Ihren Markt als Privatperson besuchen und demnach als potentiell Infektiöser. Als potentiell infektiöse Privatperson muss man einen Impfnachweis haben oder einen aktuellen Schnelltest vorweisen, lese ich auf Ihrer Seite. Dort heißt es:
- Einkauf im Gartenmarkt ohne Terminbuchung und ohne Testnachweis möglich.
- Einkauf im Baumarkt mit Terminbuchung möglich. Für Termine kannst Du Dich hier onlineoder jederzeit vor Ort am Markt registrieren.
- Privatkunden müssen einen negativen Corona Testnachweis (maximal 24 Stunden alt) oder einen Impfnachweis mitbringen.
Hinweis für Gewerbetreibende und Handwerker
- Einkauf im gesamten Bau- und Gartenmarkt ohne Terminbuchung und Testnachweis möglich.
- Nachweis für Handwerk-, Gewerbe- oder Geschäftstätigkeit notwendig.
Für unseren Service Reservieren und abholen ist kein Test- oder Impfnachweis erforderlich.
Da ich zumindest im Hinblick auf die aktuelle pandemische Lage den Sinn hinter einer derartigen Verwendung der Schnelltests nicht zu erkennen vermag, schied für mich ein Schnelltest aus. Als ungeimpfter möglicher Seuchenherd blieb mir nur die Möglichkeit des click & collect. Und das ist ja ein sehr charmantes Angebot. Ich suche die Ware online aus, reserviere sie und hole sie zu einem vorbestimmten Zeitpunkt ab, indem ich mit dem Auto vorfahre, einlade, zahle und schon wieder abdüse. Das kenne ich von einer kleinen Buchhandlung hier so, die das mit 2 Personen perfekt organisiert hat. Ich dachte zu logisch, wie sich schnell herausstellen sollte und hatte zu große Anforderungen an ein so großes Unternehmen. Muss ja auch viel komplizierter sein, weil viel größer und viel mehr Menschen mitkonzipieren.
Ich klickte also von unterwegs mein Kabel und fand mich zum verabredeten Zeitpunkt zum collecten vor Ort ein. Mit sehr, sehr vielen anderen Menschen. Es führte zu Stau an der Eingangsschleuse, weil die Abholstation nicht wie von mir vermutet im Parkbereich war oder gar im Außenbereich, wo es infektiologisch fast vollständig unbedenklich wäre. Nein, ich musste in den Markt. Zunächst wollte mich aber eine Mitarbeiterin zu einer Testbox schicken. Ich verwies darauf, dass ich nur da sei, um ein Minütchen was zu collecten. Wie denn meine Auftragsnummer laute, wurde ich gefragt. Die wusste ich natürlich nicht. Wie ich mir es denn vorstelle, meine Ware abzuholen, wenn ich keine Auftragsnummer hätte, wurde ich gefragt. Naiv antwortete ich: „Na, mit meinem Namen. Ich bin nämlich ein Mensch und habe einen Namen. Damit bin ich bisher weit über 4 Jahrzehnte gut durchgekommen.“ Die Antwort lautete, dass ich aber jetzt eine Nummer bräuchte. Ohne Nummer ginge es nur, wenn ich mich testen ließe. Dann könnte ich den Markt auch nummernlos betreten. So will es die Regel.
Da ich die Ware ja von unterwegs bestellt hatte, habe ich keine Bestätigungs-Mails gesehen, ja gar nicht abgerufen, geschweige denn ausgedruckt. Ich hatte ja den Drucker nicht dabei und selbst wenn ich ihn mitgenommen hätte (eingestehende Anmerkung: auf dem Beifahrersitz wäre Platz gewesen): Die Sache mit dem Strom… Wir drehen uns im Kreis und sind wieder beim Kabel. Ich verließ also erstmal den Eingangsbereich, um ins Freie zu gehen. Ich musste ein Stückchen aus dem Parkhaus herausgehen, um Empfang zu haben, loggte mich ins Mail-Postfach ein und Potzblitz: da war meine Nummer. Jetzt musste ich nur die Nummer sichern, weil ich im Eingangsbereich ja keinen Empfang hatte. Ich war kurz davor, mir die Nummer auf den Arm zu schreiben, schreckte aber dann doch davor zurück, weil, wie sieht denn das aus, so eine Erkennungsnummer auf dem Arm.
Ich entschied mich für ein Bildschirmfoto, welches ich dann stolz präsentieren konnte – natürlich erst, nachdem ich mit einer weiteren Gruppe Menschen gewartet hatte, um den Eingangsbereich zu passieren. Aber da werden Sie sich sicherlich Gedanken gemacht haben, warum das epidemiologisch sinnvoll ist. Nun endlich durfte ich zur Abholstation. Dazu sollte ich einfach nur einer gelben Markierung auf dem Boden folgen, an deren Ende ich meine Ware in Empfang nehmen könne. Zum Glück bin ich ein sehr schlichtes Gemüt, so dass es bei mir kaum Irritationen auslöste, dass diese gelbe Linie unmittelbar am Eingang zum Baumarkt begann, sonst hätte ich mich gewundert, warum ich als ungeimpftungetestete Privatperson gemeinsam mit den nichtinfektiösen Handwerkern diesen Bereich überhaupt betreten darf. Die lustige Linie führte erst einmal fröhlich eine Regallänge geradeaus, um dann nach links abzubiegen.
Ich hätte auch nach rechts abbiegen können, weil ich mich ja jetzt im Inneren der heiligen Hallen befand. Aber das machte ich nicht, denn sonst hätte ich festgestellt, dass ein anderer Artikel, der mir noch einfiel, vor Ort über € 20.- teurer wäre als online. Da hätte ich mich eh nur geärgert. Also bog ich links ab. So wollte es die Regel.
Der Weg führte durch den ganzen Baumarkt. Da ich Brillenträger bin, konnte ich mit meiner Kurzsichtigkeit das Ende der wirklich sehr langen Linie nicht sehen, weil ich mit Maske grad eben kein Brillenträger bin, weil ich ja sonst vor lauter Dampf noch weniger sehe. Als ich am Regal mit meinem Kabel vorbeikam, das unweit der Kasse auf mich gewartet hätte, winkte ich diesem nur einmal freundlich zu und setzte meinen Weg fort, der mich ungefähr die 10-fache Strecke zurücklegen ließ, die ich normalerweise im Markt verbracht hätte. So will es die Regel.
Als ich das Ende der Linie erreicht hatte, kam gleich so ein ungewohntes Gemeinschaftsgefühl auf, das ich seit einem Jahr nicht mehr hatte, denn ich lebe seit einem Jahr sehr zurückgezogen und distanziere mich sozial. Es gehe ja gerade darum, unnötige Begegnungen zu vermeiden und sich nicht zu lange in Innenräumen aufzuhalten. Es war etwas ungewohnt, nun mit ca. 20 Menschen anzustehen, nur um ein Kabel zu collecten, das ich mir für einen bestimmten Zeitpunkt bestellt hatte. Nach ein paar Minuten Wartezeit – mehr als ich für den gesamten ungeclickten Einkauf überhaupt gebraucht hätte – kam die erste collecterin endlich verrichteter Dinge zurück und die Schlange bewegte sich 20cm weiter vor. Eine spontan angestrengte Risikoberechnung ergab, dass ich (und alle anderen) mit dieser Wahl des Einkaufs erst recht eine Gefahr für alle anderen darstelle. Oder darstellen würde, wenn es die Infektionslage hergäbe, was ja zum Glück nicht mehr der Fall ist und ohnehin die Risikogruppen jetzt durch Impfungen für den Moment geschützt sind.
Gleichwohl muss man sich das mal vorstellen: Da stehen 20 Ungetestete in einem Innenraum. Und die spreaden da die ganze Stunde Wartezeit lustig vor sich hin, weil sie ja keine Handwerker sind. Das wollte ich niemandem zumuten. Man ist ja solidarisch und will niemanden gefährden, so wie diese Gefährder, die da ungetestet weiter brav in der Reihe standen, weil es die Regel so will. Also entschied ich mich, den Markt wieder zu verlassen. Da ich ohnehin beim Ausgang an der Kasse herausgehen musste und auf dem Weg dorthin ein zweites Mal an der Kiste mit dem Kabel vorbeikam, hätte ich mir dieses einfach nehmen und bezahlen können.
Aber das wäre gegen die Regel gewesen. Und das Befolgen von Regeln ist jetzt das Wichtigste, das wir alle füreinander tun können. Dann wird bald alles wieder gut werden. Ganz sicher. Jetzt ist es bereits zu spät. Aber vor der kommenden Erkältungssaison werde ich ein Gewerbe anmelden, um gesund über die Wintermonate zu kommen.
Vielleicht schau ich dann mal wieder auf nen Sprung vorbei. Aber vielleicht habe ich mich bis dahin auch an bequemes online-shopping gewöhnt. Vielen Dank für dieses bedenkenswerte Erlebnis. Ein ehemaliger Kunde.