Edward Bernays, Walter Lippmann, Hannah Arendt, Noam Chomsky, Shoshana Zuboff, Naomi Klein, Rainer Mausfeld und viele weitere haben in vielen Büchern verewigt, was wir jetzt gerade in der Realität beobachten können.
Vor langer Zeit tat dies auch Gustave Le Bon mit seinem Werk “Psychologie der Massen”, aus dem ich Auszüge zitiere. Er hat beschrieben, was war und prognostiziert, was sich weitere Male in der Geschichte wiederholen sollte. Es scheint so, als hätten wir das vergangene Jahrhundert nicht hinter uns gelassen:
Die Fregatte „La Belle-Poule“ kreuzte auf See, um die Korvette „Le Berceau“ wieder zu finden, von der sie durch einen heftigen Orkan getrennt worden war. Es war am hellen, lichten Tage. Plötzlich signalisiert die Wache ein Schiff in Seenot. Die Mannschaft richtet ihre Blicke auf die bezeichnete Stelle, und alle, Offiziere und Matrosen, sehen deutlich ein Menschen beladenes Wrack, welches von kleinen Fahrzeugen, auf denen Notsignale flatterten, geschleppt wurde. Admiral Desfossés ließ ein Boot bemannen, um den Schiffbrüchigen zu Hilfe zu eilen. Während sie sich näherten, sahen die im Boot befindlichen Matrosen und Offiziere „Massen von Menschen sich hin und her bewegen, die Hände ausstrecken und vernahmen den dumpfen und verworrenen Lärm einer großen Anzahl Stimmen.“ Als das Boot angekommen war, fand man nichts weiter vor als einige mit Blättern bedeckte Baumäste, die sich von der benachbarten Küste losgerissen hatten. Vor einem so handgreiflichen Beweis schwindet die Täuschung.
Das Beispiel enthüllt ganz klar den Verlauf der Kollektivtäuschungen, wie wir ihn beschrieben haben. Auf der einen Seite eine Masse im Zustand gespannter Aufmerksamkeit; auf der anderen eine Suggestion, die von der Wache ausgeht, die ein schiffbrüchiges Fahrzeug auf dem Meer signalisiert, eine Suggestion, die durch Übertragungen von allen Anwesenden, Offizieren wie Matrosen, aufgenommen wird.
Eine Masse braucht nicht zahlreich zu sein, um die Fähigkeit richtigen Sehens zu verlieren und die wirklichen Tatsachen durch davon abweichende Täuschungen zu ersetzen. Die Versammlung einiger einzelner bildet eine Masse: und selbst wenn es hervorragende Gelehrte wären, so würden sie doch alle für die Dinge, die außerhalb ihres Faches liegen, die Massenkennzeichen annehmen. Das Beobachtungsvermögen und der kritische Geist eines jeden von ihnen schwinden sofort…
…Da die Masse nur durch übermäßige Empfindungen erregt wird, muss der Redner, der sie hinreißen will, starke Ausdrücke gebrauchen. Zu den gewöhnlichen Beweismitteln der Redner in Volksversammlungen gehört Schreien, Beteuern, Wiederholen, und niemals darf er den Versuch machen, einen Beweis zu erbringen…
…Die Massen kennen nur einfache und übertriebene Gefühle. Meinungen, Ideen, Glaubenssätze, die man ihnen einflößt, werden daher nur in Bausch und Bogen von ihnen angenommen oder verworfen und als unbedingte Wahrheiten oder ebenso unbedingte Irrtümer betrachtet. So geht es stets mit Überzeugungen, die auf dem Wege der Beeinflussung, nicht durch Nachdenken erworben wurden. Jedermann weiß, wie unduldsam die religiösen Glaubenssätze sind und welche Gewaltherrschaft sie über die Seelen ausüben…
…Verknüpfung ähnlicher Dinge, wenn sie auch noch so oberflächliche Beziehungen zueinander haben, und vorschnelle Verallgemeinerung von Einzelfällen, das sind die Merkmale der Massenlogik. Schlussfolgerungen solcher Art werden den Massen durch geschickte Redner immer wieder vorgesetzt. Von ihnen allein lassen sie sich beeinflussen.
Eine logische Kette unumstößlicher Urteile würde für die Massen völlig unfassbar sein, und deshalb darf man sagen, dass sie gar nicht oder falsch urteilen und durch Logik nicht zu beeinflussen sind.
Oft staunen wir beim Lesen über die Schwäche gewisser Reden, die ungeheuren Eindruck auf ihre Zuhörer gemacht haben; man vergisst, dass sie dazu bestimmt waren, Massen hinzureißen und nicht dazu, von Philosophen gelesen zu werden.
Der Redner, der mit der Masse in inniger Verbindung steht, weiß die Bilder hervorzurufen, durch die sie verführt wird. Gelingt ihm das, so ist sein Ziel erricht, und ein Band voll Reden wiegt die wenigen Phrasen nicht auf durch die es gelang, die Seelen so zu verführen, dass sie sich überzeugen ließen…
…Auch ist es überflüssige Banalität, zu wiederholen, die Massen bedürften einer Religion. Denn alle politischen, religiösen und sozialen Glaubenslehren finden bei ihnen nur Aufnahme unter der Bedingung, dass sie eine religiöse Form angenommen haben, die sie jeder Auseinandersetzung entzieht. Wenn es möglich wäre, die Massen zu bewegen, den Atheismus anzunehmen, so würde er ganz zum unduldsamen Eifer eins religiösen Gefühls und in seinen äußeren Formen bald zu einem Kultus werden.
Ein merkwürdiges Beispiel bietet uns die Entwicklung der kleinen positivistischen Sekte. Sie gleicht jenem Nihilisten, dessen Geschichte der tiefgründige Dostojewksij uns erzählt. Vom Geiste erleuchtet, zerbrach er eines Tages die Bildwerke der Gottheiten und Heiligen, die den Altar seiner Kapelle schmückten, löschte die Kerzen aus und ersetzte, ohne einen Augenblick zu zögern, die zerstörten Bilder durch die Werke einiger atheistischer Philosophen; dann zündete er pietätvoll die Kerzen wieder an. Der Gegenstand seines religiösen Glaubens war ein andrer geworden, aber kann man behaupten, dass sich seine religiösen Gefühle geändert hatten?…
…Die furchtbarsten Idole werden nicht in den Tempeln beherbergt, und die gewalttätigsten Tyrannen wohnen nicht in den Palästen. Sie wären leicht zu stürzen. Aber die unsichtbaren Herren, die unsere Seelen beherrschen, entziehen sich jedem Angriff und geben nur der langsamen Abnutzung durch die Jahrhunderte nach…
…Trotz all ihrer Fortschritte hat die Philosophie nicht vermocht, den Massen ein Ideal zu bieten, das sie bezaubern könnte. Da ihnen aber Täuschungen unentbehrlich sind, so wenden sie sich unwillkürlich, wie die Motte dem Licht, den Rednern zu, die sie ihnen bieten.
Die große Triebkraft der Völkerentwicklung war niemals die Wahrheit, sondern der Irrtum. Und wenn heute der Sozialismus seine Macht wachsen sieht, so erklärt es sich daraus, dass er die einzige Täuschung darstellt, die noch lebendig ist.
Wissenschaftliche Beweisführungen können seine Entwicklung nicht aufhalten. Seine Hauptstärke liegt darin, dass er von Köpfen verteidigt wird, die die Tatsachen der Wirklichkeit genügend verkennen, um es zu wagen, den Menschen kühn das Glück zu versprechen.
Die soziale Täuschung herrscht heute auf allen Ruinen, die die Vergangenheit auftürmte, und ihr gehört die Zukunft. Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären versucht, stets ihr Opfer…
…Meistens sind die Führer keine Denker, sondern Männer der Tat. Sie haben wenig Scharfblick und können auch nicht anders sein, da der Scharfblick im Allgemeinen zu Zweifel und Untätigkeit führt. Man findet sie namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsinns befinden.
So abgeschmackt auch die verfochtene Idee oder das verfolgte Ziel sein mag, gegen ihre Überzeugung wird alle Logik zunichte. Verachtung und Verfolgung stört sie nicht oder erregt sie nur noch mehr. Persönliches Interesse, Familie, alles wird geopfert.
Sogar der Selbsterhaltungstrieb ist bei ihnen ausgeschaltet, und zwar in solchem Maße, dass die einzige Belohnung, die sie oft anstreben, das Martyrium ist. Die Stärke ihres Glaubens verleiht ihren Worten eine große suggestive Macht.
Die Menge hört immer auf den Menschen, der über einen starken Willen verfügt. Die in der Masse vereinigten Einzelnen verlieren allen Willen und wenden sich instinktiv dem zu, der ihn besitzt…
…Die Verbrechen der Massen sind in der Regel die Folge einer starken Suggestion, und die einzelnen, die daran teilnahmen, sind hinterher davon überzeugt, einer Pflicht gehorcht zu haben. Das ist beim gewöhnlichen Verbrecher durchaus nicht der Fall.
Die Geschichte der Verbrechen, die durch die Massen begangen wurden, lässt dies klar erkennen.
Als bezeichnendes Beispiel kann man die Ermordung des Gouverneurs der Bastille, du Launay, anführen. Nach der Eroberung dieser Festung hagelten von allen Seiten aus der auf äußerste gereizten Menge, die ihn umgab, Hiebe auf den Gouverneur. Man schlug vor, ihn zu hängen, zu enthaupten oder an den Schweif eines Pferdes zu binden.
Bei dem Versuch, sich zu befreien, versetzte er einem der Umstehenden versehentlich einen Fußtritt. Da machte jemand den Vorschlag – dem die Menge sofort zujauchzte – der Getretene solle dem Gouverneur den Hals abschneiden.
„Dieser, ein stellenloser Koch, der halb und halb aus Neugierde nach der Bastille gegangen war, um zu sehen, was dort vorging, glaubt, weil dies die allgemeine Ansicht ist, die Tat sei patriotisch, und glaubt sogar, eine Auszeichnung zu verdienen, wenn er ein Ungeheuer tötet. Man gibt ihm einen Säbel, mit dem er auf den bloßen Hals losschlägt; da aber der schlecht geschliffene Säbel nicht schneidet, zieht er ein kleines Messer mit schwarzem Heft aus der Tasche und vollendet (da er als Koch Fleisch zu bearbeiten weiß) erfolgreich seine Operation.“
Hier zeigt sich klar der früher festgestellte Mechanismus: Gehorsam gegen einen Einfluss, der um so mächtiger wirkt, weil er seiner Gesamtheit entstammt, die Überzeugung des Mörders, damit eine äußerst verdienstvolle Tat getan zu haben, eine Überzeugung, die umso natürlicher ist, da er auf die einmütige Zustimmung seiner Mitbürger rechnen kann.
Eine derartige Tat kann vielleicht gesetzlich, aber nicht psychologisch als Verbrechen bezeichnet werden. Die allgemeinen Merkmale der so genannten verbrecherischen Massen sind genau dieselben, die wir bei allen Massen festgestellt haben: Beeinflussbarkeit, Leichtgläubigkeit, Überschwang der guten und schlechten Gefühle, das Hervortreten gewisser Formen der Sittlichkeit usw…
…Alle diese Merkmale finden wir bei der Masse der Septembermänner wieder, die in unserer Geschichte das unseligste Andenken hinterlassen haben. Sie zeigen übrigens viel Ähnlichkeit mit den Urhebern der Bartholomäusnacht. Die Einzelheiten des Berichts entnehme ich Taine, der sie aus zeitgenössischen Erinnerungen geschöpft hat. Es ist nicht genau bekannt, wer Befehl oder Veranlassung gegeben hat, die Gefangenen abzuschlachten, um die Gefängnisse zu räumen. Ob es Danton war, wie es wahrscheinlich ist, oder ein anderer, ist gleichgültig; wir haben es nur mit dem mächtigen Einfluss zu tun, den die mit dem Blutbade beauftragte Menge empfing.
Die Schar der Menschenschlächter umfasste dreihundert Mitglieder und zeigte vollkommen die Grundform einer ungleichartigen Masse. Abgesehen von einer ganz geringen Anzahl gewerbsmäßiger Bettler, bestand sie namentlich aus Händlern und Handwerkern aller Art, aus Schustern, Schlossern, Perückenmachern, Maurern, Angestellten, Dienstmännern usw. Unter dem Einfluss der empfangenen Suggestion sind sie, wie der oben erwähnte Koch, völlig überzeugt davon, eine vaterländische Pflicht zu erfüllen. Sie üben ein doppeltes Amt aus, das des Richters und das des Henkers, und halten sich in keiner Weise für Verbrecher.
Durchdrungen von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe, bilden Sie zunächst eine Art Gerichtshof, und sofort zeigt sich der beschränkte Geist und das nicht weniger beschränkte Rechtsgefühl der Massen. Angesichts der beträchtlichen Anzahl der Angeklagten wird zunächst entschieden: die Adligen, die Priester, die Offiziere, die Diener des Königs, d.h. diejenigen, deren Beruf in den Augen eines guten Patrioten allein schon ein Schuldbeweis ist, sollen in Haufen nierdergemetzelt werden, ohne dass es eines besonderen Urteils bedarf. Im Übrigen wird nach Aussehen und Ansehen verurteilt. Das unausgebildete Gewissen der Masse ist auf diese Weise befriedigt, sie kann rechtmäßig an die Abschlachtung gehen und den Instinkten der Grausamkeit, deren Entstehung ich an anderer Stelle behandelt habe, und die die Gesamtheiten stets in hohem Maße entfalten können, freien Lauf lassen. Sie stehen übrigens – das ist die Regel bei den Massen – einer gleichzeitigen Offenbarung entgegen gesetzter Gefühle nicht im Wege, so z.B. der Empfindsamkeit, die oft, ebenso wie ihre Grausamkeit, bis zum äußersten geht.
„Sie haben das offenherzige Mitgefühl und die bewegliche Empfindlichkeit der Pariser Arbeiter. Als ein Föderierter vernahm, dass man in der Abtei die Häftlinge seit sechsundzwanzig Stunden ohne Wasser gelassen hatte, wollte er durchaus den nachlässigen Pförtner umbringen und hätte es getan, wenn nicht die Gefangenen selbst für ihn gebeten hätten. Ist ein Gefangener (von ihrem fliegenden Gerichtshof) freigesprochen, so wird er von den Wächtern und Henkern, kurz von jedermann, umarmt und stürmisch begrüßt.“
Dann kehrt man zur Abschlachtung der Übrigen zurück.
Während des Blutbads herrscht andauernd liebenswürdige Fröhlichkeit. Man singt und tanzt um die Leichen herum, stellt den „Damen“, die glücklich darüber sind, zu sehen, dass Aristokraten getötet werden, Bänke zur Verfügung. Auch weiterhin werden Proben einer besonderen Höflichkeit gegeben. Als sich ein Henker in der Abtei beklagt, die etwas entfernter sitzenden Damen sähen schlecht und nur einige der Anwesenden hätten das Vergnügen, die Aristokraten zu schlagen, gibt man die Richtigkeit dieser Beobachtung zu und bestimmt, dass man die Opfer langsam zwischen zwei Reihen von Mördern hindurchgehen lasse, die zur Verlängerung der Qualen nur mit dem Säbelrücken schlagen dürfen. In der Festung werden die Opfer völlig entkleidet, eine halbe Stunde lang zerfleischt, dann, wenn jedermann alles gut gesehen hat, erledigt man sie, indem man ihnen den Bauch aufschlitzt. Die Menschenschlächter sind im Übrigen sehr gewissenhaft und bekunden jene Sittlichkeit, auf deren Vorhandensein im Herzen der Massen wir bereits hinwiesen. Sie legen das Geld und den Schmuck der Opfer auf dem Tisch des Ausschusses nieder.
In allen ihren Handlungen finden sich diese unentwickelten Formen des Denkens, die für die Massenseele bezeichnend sind. So macht irgend jemand nach einer Abschlachtung von zwölf- bis fünfzehnhundert Volksfeinden darauf aufmerksam, – und seine Anregung wird sofort angenommen – dass in den anderen Gefängnissen, in denen alte Bettler, Landstreicher, jungendliche Häftlinge sitzen, in Wahrheit nur unnütze Fresser eingesperrt wären, deren man sich am besten entledige. Übrigens müssten sich unter ihnen auch Volksfeinde befinden, wie z.B. eine gewisse Frau Delarue, die Witwe eines Giftmischers: „Sie soll wütend sein, im Gefängnis zu sitzen; wenn sie könnte, würde sie Paris in Brand stecken; das soll sie gesagt haben, das hat sie gesagt. Fort mit ihr.“ Der Beweis ist überzeugend, und haufenweise wird alles abgeschlachtet, inbegriffen sogar etwa fünfzig Kinder von zwölf bis siebzehn Jahren, die ja auch Volksfeinde werden könnten und folglich beseitigt werden mussten.
Nach einer Woche der Arbeit waren all diese Maßnahmen ausgeführt, und die Menschenschlächter durften von Ruhe träumen. Da sie tief durchdrungen waren, dem Vaterland gut gedient zu haben, verlangten Sie von den Machthabern eine Belohnung; die Eifrigsten forderten sogar eine Auszeichnung.
Die Geschichte der Kommune von 1870 weist ähnliche Tatsachen auf. Der wachsende Einfluss der Massen und das allmähliche Zurückweichen der Mächte vor ihnen wird sicher noch andre hinzufügen…
…Obwohl ich die Psychologie der Kasten so wie die der anderen Massen sehr wohl kenne, kann ich mir keine Fall denken, der mich, wenn ich eines Verbrechens angeklagt wäre, nicht vorziehen ließe, lieber mit Geschworenen als mit Richtern zu tun zu haben. Bei den ersten hätte ich große Aussicht, schuldlos erkannt zu werden, bei den letzteren nur sehr geringe. Wir haben die Macht der Massen zu fürchten, aber noch mehr die Macht gewisser Kasten! Die Massen lassen sich vielleicht überzzeugen, die Kasten geben niemals nach…
…”Seit dieser Zeit hat die Gesetzgebung den Lauf genommen, den ich voraussagte. Diktatorische Maßnahmen, die sich rasch vervielfachten, haben das ständige Bestreben, die persönliche Freiheit zu beschränken, und zwar in zwiefacher Weise: jedes Jahr wird eine immer größere Anzahl gesetzlicher Forderungen erlassen, die der früheren Handlungsfreiheit des Bürgers Beschränkung auferlegen und ihn zu Handlungen zwingen, die er früher nach Belieben begehen oder unterlassen konnte. Gleichzeitig haben immer drückendere Lasten, besonders örtliche Abgaben, von vornherein die Freiheit beschränkt, indem sie den Teil seines Einkommens, den er nach Belieben ausgeben konnte, verminderten und den Teil vergrößerten, der ihm weggenommen wurde, um je nach dem guten Willen der Beamten ausgegeben zu werden.”
Diese immer mehr zunehmende Freiheitsbeschränkung zeigt sich in allen Ländern in einer besonderen Weise, auf die Spencer nicht hingewiesen hat: Die Schaffung jener unzählichen gesetzlichen Maßnahmen allgemein beschränkender Art führt notwendig zur Erhöhung der Zahl, der Macht und des Einflusses der Beamten, die mit ihrer Durchführung beauftragt werden. Sie haben also alle Aussicht, die wahren Gebieter der Kulturländer zu werden. Ihre Macht ist umso größer, als nur die Beamtenkaste, als einzige, die unverantwortlich, unpersönlich und auf Lebenszeit angestellt ist, dem unaufhörlichen Machtwechsel entgeht. Nun gibt es aber keine Gewaltherrschaft, die härter ist als diese, die in dieser dreifachen Gestalt auftritt.
Die fortwährende Schaffung von Gesetzen und Beschränkungsmaßnahmen, die die unbedeutendsten Lebensäußerungen mit byzantinischen Förmlichkeiten umgeben, hat das verhängnisvolle Ergebnis, den Bereich, in dem sich der Bürger frei bewegen kann, immer mehr einzuengen. Als Opfer des Irrtums, dass durch Vermehrung der Gesetze Freiheit und Gleichheit besser gesichert würden, nehmen die Völker nur drückendere Fesseln auf sich.
Sie nehmen sie nicht ungestraft auf sich. Gewohnt, jedes Joch zu tragen, kommen sie schließlich dahin, es aufzusuchen, und büßen zuletzt alle Ursprünglichkeit und Kraft ein. Sie sind nur noch wesenlose Schatten, Automaten, willenlos, ohne Widerstand und Kraft.
Wenn der Mensch in sich selbst die Spannkraft nicht mehr findet, muss er sie anderswo suchen. Mit der zunehmenden Gleichgültigkeit und Ohnmacht der Bürger muss die Bedeutung der Regierungen nur noch mehr wachsen. Sie müssen notgedrungen den Geist der Initiative, der Unternehmung und Führung besitzen, den der Bürger verloren hat. Sie haben alles zu unternehmen, zu leiten, zu schützen. So wird der Staat zu einem allmächtigen Gott.
Die Erfahrung lehrt aber, dass die Macht solcher Gottheiten weder von Dauer noch sehr stark war.
Zuerst erschienen auf https://publikum.net/psychologie-der-massen-auszuge/